Offener Brief des Naturhistorischen Vereins

Der Natur­his­to­ri­scher Ver­ein Hön­ne­tal e.V. hat sich mit einem Offe­nen Brief an Minis­ter Lau­mann (Foto), NRW, nach sei­nem Besuch im Lhoist-Werk Hön­ne­tal gewandt, den wir hier geren in vol­ler Län­ge veröffentlichen.


Minis­te­ri­um für Arbeit, Gesund­heit und Sozia­les
des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len
Fürs­ten­wall 25 40219 Düsseldorf

Bal­ve und Men­den den 14. 4. 2021

Sehr ver­ehr­ter Herr Laumann,

das Land Nord­rhein-West­fa­len will das Roh­stoff­la­ger des Hön­ne­tals wei­ter aus­beu­ten und nimmt damit die dau­er­haf­te Zer­stö­rung einer bedeu­ten­den Natur- und Kul­tur­land­schaft in NRW bil­li­gend in Kauf. Die Vor­kom­men an Fest­ge­stein sol­len gemäß Vor­ga­ben des Lan­des­ent­wick­lungs­plans 2017 für wei­te­re 35 Jah­re aus­ge­wie­sen wer­den. Dies soll im neu­en Regio­nal­plan umge­setzt wer­den, für den der­zeit das soge­nann­te Betei­li­gungs­ver­fah­ren läuft. Der geplan­te Kalk­ab­bau betrifft das Hön­ne­tal, des­sen bereits gigan­ti­sche Land­schafts­zer­stö­rung wei­ter vor­an­ge­trie­ben wer­den soll.

Bei der Bege­hung der Lehr­werk­statt im Lhoist-Werk am 25.09.2020 äußer­ten Sie laut Zei­tungs­be­richt: „Die Lan­des­re­gie­rung steht der Stein­bruch­er­wei­te­rung opti­mis­tisch gegen­über“ und „Wir brau­chen die­sen hier gewon­ne­nen Roh­stoff für Dün­ge­kalk, und um unse­re Häu­ser zu bau­en“. Dazu gehö­re die Nut­zung von Lie­ge­stät­ten. Soll­te die­ses aus wel­chen Grün­den auch immer nicht mög­lich sein, erfol­ge der Abbau in ande­ren Regio­nen. Lau­mann: „Abge­baut wer­den aber muss der Kalk.“

Damit ist die Rich­tung klar: Abge­baut wird der Karst­zug nach Auf­fas­sung der Lan­des­re­gie­rung so oder so – wenn nicht im Eis­bor­ner Beil, dann eben im Becku­mer Feld oder not­falls auf der Klu­sen­stei­ner Hoch­flä­che. Im Hön­ne­tal sol­len auch noch gro­ße „Reser­ve­ge­bie­te“ aus­ge­wie­sen wer­den, um die Nut­zung der Lie­ge­stät­ten „für spä­te­re Gene­ra­tio­nen offen­zu­hal­ten“. Eine kla­re Ent­schei­dung gegen den Umwelt­schutz und zukünf­ti­ge Generationen.

Dage­gen erhe­ben wir Ein­spruch. Wir for­dern die Schlie­ßung des Abbau­ge­bie­tes Hön­ne­tal. Nach mehr als hun­dert­jäh­ri­ger Aus­beu­tung der Kal­kauf­kom­men des Hön­ne­tals ist das Maß voll. Das Land NRW muss dem Raub­bau an die­ser Kul­tur­land­schaft end­lich Ein­halt gebie­ten und sie ein­schließ­lich ihrer Hoch­flä­chen wirk­sam schützen.

Der Kalk­ta­ge­bau ist irreversibel

Land­schafts­ein­grif­fe durch Stein­brü­che sind end­gül­tig. Von einer Rena­tu­rie­rung der Kalk­stein­brü­che zu spre­chen ist unse­ri­ös, eine Mogel­pa­ckung. Die Land­schafts­zer­stö­rung bleibt sicht­bar, für immer.

Eine Mil­lio­nen Jah­re alte Kul­tur­land­schaft wird hier zer­stört, zu Las­ten aller nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen. Wäh­rend ande­re Land­schafts­ein­grif­fe rück­gän­gig gemacht oder zumin­dest geheilt wer­den kön­nen – Wind­rä­der kön­nen zurück­ge­baut, Gewer­be­ge­bie­te und Straßen

ent­sie­gelt wer­den, selbst Atom-End­la­ger haben Halb­wert­zei­ten – sind die Land­schafts­ein­grif­fe durch Stein­brü­che nicht heilbar.

Die vor 100 Jah­ren im Rah­men der „Schutz­ak­ti­on“ gesi­cher­ten Fels­ku­lis­sen bil­den eine Ein­heit mit den umlie­gen­den Höhen­zü­gen. Die ver­blie­be­nen Land­schafts­tei­le müs­sen kom­plett geschützt wer­den, im Ver­bund mit bereits aus­ge­wie­se­nen Schutz­ge­bie­ten. Dem Land­schafts­schutz kommt im Hön­ne­tal über­ra­gen­de Bedeu­tung zu.

Der Kalk­ta­ge­bau ist für den Natur­schutz kontraproduktiv

Die Fol­gen des Tage­baus im Karst des Hön­ne­tals las­sen sich nicht abschät­zen. Für den Grund­was­ser­spie­gel und den Trink­was­ser­haus­halt sind gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen zu erwarten.

Eine Erwei­te­rung des Stein­bruchs Asbeck Rich­tung Süden führt zu wei­te­ren „Kulis­sen“ mit der Gefahr der Aus­trock­nung der Fels­for­ma­tio­nen. Dies wirkt sich nach­tei­lig für die geschütz­ten Bio­to­pe aus.

Im Fall einer Erwei­te­rung des Stein­bruchs Beckum nach Nor­den wird das Hön­ne­tal mit sei­nen Ort­schaf­ten durch bis zu 200 LKW-Schwer­trans­por­te pro Tag belas­tet. Die Bun­des­stra­ße B515 wür­de so zur Werk­stra­ße für die Kalk­pro­duk­ti­on der Lhoist-Gruppe.

Zudem wür­de ein nach §39 Abs. 2 LNatSchG geschütz­ter Land­schafts­be­stand­teil, die über 300 Meter lan­ge soge­nann­te „Graub­ner-Hecke“ im Becku­mer Feld, mit­tel­fris­tig zer­stört und eine inter­na­tio­nal bedeut­sa­me Fund­stel­le aus der Krei­de­zeit gefähr­det (Dino­sau­ri­er-For­schung).

Der Kalk­ta­ge­bau behin­dert die zukünf­ti­ge Ent­wick­lung der Region

Die Aus­beu­tung der Roh­stoff­la­ger des Hön­ne­tals ist ohne­hin zeit­lich begrenzt. Für die Arbeits­plät­ze und die Wirt­schafts­leis­tung der Regi­on ist der Kalk­ab­bau nicht nach­hal­tig. Nach dem Ende des Roh­stoff­nut­zung gibt es kei­ne Arbeits­plät­ze mehr, nur zer­stör­te Landschaft.

Die mit dem Tou­ris­mus in der Regi­on ver­bun­de­nen Arbeits­plät­ze wer­den schon jetzt durch die lau­fen­den Ein­grif­fe gefähr­det (Bei­spiel Eis­born). Mit fort­schrei­ten­der Zer­stö­rung der Land­schaft wird die Strahl­kraft des mitt­le­ren Hön­ne­tals für die tou­ris­ti­sche Ent­wick­lung – in direk­ter Nach­bar­schaft zum Ruhr­ge­biet – mas­siv beeinträchtigt.

Die sinn­vol­len Maß­nah­men der letz­ten Jahr­zehn­te – Ret­tung der Fels­ku­lis­sen, Denk­mal­schutz, Natura2000 – konn­ten nicht ver­hin­dern, dass das Land­schafts­bild des Hön­ne­tals extrem gelit­ten hat. Die Ver­kehrs­be­las­tung (Bun­des­stra­ße), Van­da­lis­mus und Land­schafts­ein­grif­fe durch Indus­trie und Gewer­be haben ihren Teil dazu bei­getra­gen. Die Belas­tungs­gren­ze ist längst überschritten.

Will die NRW-Lan­des­re­gie­rung das Schick­sal des Nean­der­tals wiederholen?

Das Hön­ne­tal mit sei­nen zahl­rei­chen Höh­len und den dar­in ent­hal­te­nen prä­his­to­ri­schen Fun­den von Nean­der­ta­lern und Homo Sapi­ens ist eines der palä­on­to­lo­gisch bedeutendsten

Täler Deutsch­lands. Allein die Bal­ver Höh­le ent­hielt über 90.000 Arte­fak­te. Wei­te­re Höh­len ent­hiel­ten eben­falls zahl­rei­che Fun­de. Die meis­ten Höh­len sind noch vor­han­den, so wie die Fel­sen und die Land­schaft um das Hön­ne­tal herum.

Dies ist der Unter­schied zum ehe­mals zau­ber­haf­ten Nean­der­tal, das voll­stän­dig durch indus­tri­el­len Kalk­ab­bau ver­nich­tet wur­de. Auch ande­re Karst­ge­bie­te in NRW wur­den sinn­los zer­stört, weil sie von der Poli­tik nicht wirk­sam geschützt wurden.

Noch ist das Hön­ne­tal weit­ge­hend intakt, noch sind auf den Hoch­flä­chen wei­te­re Fun­de zu erwar­ten. Die­se gilt es zu schüt­zen und der Nach­welt zu bewah­ren. Nur im gro­ßen Zusam­men­hang sind die Fun­de wirk­lich etwas wert und lie­fern uns wert­vol­le Infor­ma­tio­nen zu unse­rer Geschichte.

„Abge­baut wer­den aber muss der Kalk“

Die geeig­ne­ten Kal­kla­ger­stät­ten sind begrenzt, wie alle fos­si­len Roh­stof­fe. Der Abbau muss enden und wir müs­sen end­lich begrei­fen, dass es ein „wei­ter so“ nicht geben kann und darf. Kalk ist in Form der Zement­pro­duk­ti­on einer der welt­weit größ­ten Kli­ma­kil­ler. Wir befin­den uns weni­ge Sekun­den vor 12, der Kli­ma­wan­del erreicht einen Punkt, an dem er nicht mehr ver­hin­der­bar ist.

Wir müs­sen jetzt den Raub­bau an der Natur stop­pen, hin zu einer nach­hal­ti­gen und wirk­li­chen Kli­ma­neu­tra­li­tät (kei­ne vor­ge­täusch­te oder erkauf­te). Die soge­nann­te Wert­stoff­ket­te hat­te von Anfang an ein Pro­blem: Sie ist end­lich. Wir müs­sen hier und heu­te dafür Sor­ge tra­gen, dass aus der Ket­te ein Kreis­lauf wird, durch sinn­vol­le und voll­stän­di­ge Wie­der­ver­wer­tung sämt­li­cher genutz­ter Ressourcen.

Fazit

Das Hön­ne­tal mit sei­nen umge­ben­den Karst­zü­gen ist nicht nur eine bedeu­ten­de Kul­tur­land­schaft, son­dern de fac­to ein „lan­des­be­deut­sa­mer Kul­tur­land­schafts­be­reich“ im Sin­ne des Lan­des­ent­wick­lungs­plans. Es soll­te auch als sol­cher ein­ge­stuft und behan­delt wer­den (Anla­ge 2 LEP). Die ein­schlä­gi­gen fach­li­chen Emp­feh­lun­gen soll­ten dahin­ge­hend über­prüft und neu bewer­tet wer­den.1)

Dafür spricht die rei­che Fund­land­schaft für alle Peri­oden der Mensch­heits­ge­schich­te, aber auch die Bedeu­tung der geschütz­ten Fau­na und Flo­ra und die Fül­le der his­to­ri­schen Bezü­ge von der Eisen­zeit bis zur NS-Zeit. Nur als Bei­spie­le unter vie­len sei­en die bekann­te Bal­ver Höh­le und die Lui­sen­hüt­te genannt, letz­te­re ein Indus­trie­denk­mal von natio­na­ler Bedeu­tung im zukünf­ti­gen „Geschichts­park Bal­ve“, der aktu­ell vom Land NRW – Minis­te­ri­um für Hei­mat, Kom­mu­na­les, Bau und Gleich­stel­lung – mit ca. 1 Mio € geför­dert wird.2)

Das Karst­ge­biet des Hön­ne­tals bie­tet mit Höh­len und Burg ein fas­zi­nie­ren­des Land­schafts­bild, und wegen sei­ner archäo­lo­gi­schen und kul­tu­rel­len Viel­falt vom Mit­tel­al­ter bis zur Neu­zeit tou­ris­ti­sche High­lights der Super­la­ti­ve. Es bie­tet eine auf­re­gen­de Geschich­te, die erst in Ansät­zen erzählt ist. Für den Tages­tou­ris­mus bie­tet es ein gro­ßes Poten­ti­al, das neu erschlos­sen wer­den kann. Die­ses Poten­ti­al ist in jeder Hin­sicht aus­bau­fä­hig – natur­scho­nend und nachhaltig.

Im Inter­es­se der Regi­on und zum Schutz der Hei­mat müs­sen die lau­fen­den Plä­ne zur dau­er­haf­ten Zer­stö­rung der Land­schaft durch das Land NRW gestoppt und der indus­tri­el­le Kalk­ab­bau im Hön­ne­tal been­det werden.

Natur­his­to­ri­scher Ver­ein Hön­ne­tal e.V.

Der Vor­stand
Andre­as Kola­rik, 1. Vorsitzender

Kopie: Minis­te­rin Ina Schar­ren­bach, Hei­mat­mi­nis­te­ri­um NRW

PS: Zum nähe­ren Ver­ständ­nis der Hin­ter­grün­de fügen wir pos­ta­lisch ein Exem­plar unse­rer letzt­jäh­ri­gen Ver­öf­fent­li­chung „100 Jah­re Schutz­ak­ti­on. Die Ret­tung der Schön­heit des Hön­ne­tals“ bei, mit Bit­te um wohl­wol­len­de Kenntnisnahme.

1) „Unter den glo­ba­len Nivel­lie­rungs­ten­den­zen bei Städ­te­bau, Archi­tek­tur und Lebens­stil, sind die gewach­se­nen indi­vi­du­el­len Kul­tur­land­schaf­ten wich­tig für die Ver­an­ke­rung der regio­na­len Iden­ti­tät und die Ver­bun­den­heit mit der Hei­mat“. „Im dicht besie­del­ten Nord­rhein-West­fa­len mit sei­nem dem­entspre­chend star­ken Ver­än­de­rungs­druck muss der bewuss­ten Kul­tur­land­schafts­ent­wick­lung und der Erhal­tung land­schaft­li­cher Zeug­nis­se der Kul­tur­ge­schich­te bei heu­ti­gen und künf­ti­gen Ansprü­chen an den Raum beson­de­re Auf­merk­sam­keit zukom­men. Dabei geht es nicht nur um die Siche­rung raum­be­deut­sa­mer schutz­wür­di­ger Kul­tur­gü­ter und ihrer Umge­bung. Es geht viel­mehr um einen quer­schnitts­ori­en­tier­ten und ganz­heit­li­chen Betrach­tungs­an­satz auf allen Pla­nungs­ebe­nen, der vor allem die iden­ti­täts­stif­ten­den und image­bil­den­den Eigen­ar­ten der Kul­tur­land­schaf­ten im regio­na­len Zusam­men­hang sieht“ (LEP NRW vom 15.12.2016, Kom­men­tar zu Grund­satz 3–1).

2) „Die poten­zi­el­le Wert­schöp­fung des his­to­risch gewach­se­nen kul­tu­rel­len Erbes liegt in nicht­mo­ne­tä­ren Vor­aus­set­zun­gen, die – ent­spre­chend erschlos­sen – mone­tä­re Poten­zia­le ent­fal­ten kön­nen. Für einen nach­hal­ti­gen sozial‑, umwelt- und kul­tur­ver­träg­li­chen Tou­ris­mus ist das regio­na­le kul­tu­rel­le Erbe ein ent­schei­den­der Wert­fak­tor“. „In ihrer Gesamt­heit ist die his­to­ri­sche Kul­tur­land­schaft Trä­ger des kul­tu­rel­len Erbes im land­schaft­li­chen Kon­text“. „Der Nach­hal­tig­keits­ge­dan­ke for­dert einen bewuss­ten, ver­ant­wor­tungs­vol­len und scho­nen­den Umgang mit Gütern unter­schied­lichs­ter Art unter Ein­be­zie­hung der Lebens­qua­li­tät zukünf­ti­ger Gene­ra­tio­nen. Eines die­ser Güter, über die die Gesell­schaft ver­fügt und über des­sen Wah­rung für künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen oder über des­sen immer irrever­si­ble Zer­stö­rung sie zu ent­schei­den hat, ist ihr kul­tur­land­schaft­li­ches Erbe“ (aus: K.-D. Klee­feld 2017: Das The­ma Kul­tur­land­schaft in Fach­bei­trä­gen für die Lan­des­pla­nung in Nord­rhein-West­fa­len und die Regio­nal­pla­nung im Rheinland).