Corona-Ermittler brauchen Unterstützung

Seit Mona­ten arbei­ten sie im Kri­sen­mo­dus – mon­tags bis sonn­tags täg­lich bis zu zwölf Stun­den. Ihr Ziel ist es, die Infek­ti­ons­ket­te bei der Coro­na­pan­de­mie zu durch­bre­chen. Drei Ermitt­le­rin­nen des Gesund­heits­am­tes erzäh­len von ihrer Arbeit.

Zu wem hat­te der Infi­zier­te Kon­takt? Wer könn­te sich bei einem posi­tiv auf das Coro­na­vi­rus Getes­te­ten ange­steckt haben? Wer muss in Qua­ran­tä­ne, wer muss getes­tet wer­den? Das her­aus­zu­fin­den und zu koor­di­nie­ren ist eine der gro­ßen Auf­ga­ben des Gesund­heits­am­tes, um die Pan­de­mie im Griff zu behal­ten. 
Rund 60 Ermitt­le­rin­nen und Ermitt­ler wid­men sich der­zeit beim Mär­ki­schen Kreis die­ser ver­ant­wor­tungs­vol­len Arbeit – weit mehr als es die ursprüng­li­che Beset­zung der Gesund­heits­be­hör­de vor­sieht. Unter­stüt­zung kommt zeit­wei­se aus ande­ren Fach­diens­ten der Kreis­ver­wal­tung. Aus­zu­bil­den­de haben sich hier bewährt. Auch extern wur­de Per­so­nal ange­wor­ben, um der zwei­ten Wel­le Herr zu wer­den. „Das wird nicht rei­chen“, sind sich alle im Kri­sen­stab einig, zumal die Zahl der Neu­in­fek­tio­nen dra­ma­tisch in die Höhe schnellt. Das Gesund­heits­amt kommt bei der Ermitt­lung der Kon­takt­per­so­nen zuneh­mend in Ver­zug. Der Fach­dienst Per­so­nal ist dabei, eine (Reserve-)Mannschaft aus Kreis­be­diens­te­ten zusam­men­zu­stel­len, die geschult wer­den und sich bei Bedarf in die Ermitt­lung ein­schal­ten können. 

Die Ermitt­ler, die seit Mona­ten mit viel per­sön­li­chem Enga­ge­ment und unter hohem zeit­li­chen Druck einen wert­vol­len Dienst für die All­ge­mein­heit leis­ten, brau­chen drin­gend Ent­las­tung. Drei von ihnen erzäh­len hier stell­ver­tre­tend für ihre Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von ihrer per­sön­li­chen Moti­va­ti­on und ihren Erfah­run­gen. Da sie ihre Namen nicht ver­öf­fent­licht haben möch­ten, nen­nen sie sich der Ein­fach­heit hal­ber Anna, Bea und Cara.

Anna und Bea sind Ermitt­le­rin­nen der ers­ten Stun­de. Als erfah­re­ne Mit­ar­bei­te­rin­nen der Gesund­heits­be­hör­de wur­den sie bereits hin­zu­ge­zo­gen, als es um den aller­ers­ten Coro­na­fall im Mär­ki­schen Kreis ging. Ein Leh­rer hat­te sich im Febru­ar bei der ver­häng­nis­vol­len Kar­ne­vals­fei­er im Kreis Heins­berg ange­steckt. „Es war Frei­tag­mit­tag, als wir davon erfuh­ren, und wir haben bis spät in die Nacht die Kon­takt­per­so­nen ermit­telt“, weiß Anna. Die Rei­se­rück­keh­rer aus Ski­ge­bie­ten brach­ten die ers­te Wel­le ins Rol­len mit hohen Infek­ti­ons­ra­ten und teil­wei­se schwe­ren Krank­heits­ver­läu­fen vor allem bei der älte­ren Gene­ra­ti­on. Alles war neu. „Wir alle waren hoch­mo­ti­viert und teil­wei­se auch froh mal aus unse­ren beruf­li­chen Rou­ti­nen aus­zu­bre­chen“, schil­dert Bea. Wel­che Lawi­ne Coro­na aus­lö­sen wür­de, war ihnen zu die­sem Zeit­punkt noch nicht bewusst. Über den neu­en Virus war wenig bekannt. Die Ermitt­ler führ­ten inten­si­ve und zeit­auf­wen­di­ge Tele­fon­ge­sprä­che, um die Situa­ti­on und die Ver­hal­tens­re­geln in der Qua­ran­tä­ne zu erklä­ren. Die meis­ten Men­schen zeig­ten sich ver­stän­dig und akzep­tier­ten die Maß­nah­men. „Auf ein­mal waren wir Ansprech­part­ner für alle mög­li­chen Sor­gen und Nöte. Wo es eben ging, haben wir gehol­fen“, sagt Anna. Viel mög­lich gemacht hat auch der per­sön­li­che Ein­satz der mobi­len Abstrich­teams, die kurz­fris­tig Coro­na­tests im Haus­be­such orga­ni­siert haben, macht sie deutlich. 

Respekt vor dem Virus
Per­sön­li­che Schick­sa­le ihrer Gesprächs­part­ner tra­gen die Ermitt­ler auch mit nach Hau­se. Das Los eines älte­ren Ehe­paars ist Bea beson­ders nahe­ge­gan­gen: Der Ehe­mann muss­te künst­lich beatmet wer­den und hat­te sich schon ohne viel Hoff­nung von sei­ner Frau ver­ab­schie­det. Sie stand unter Qua­ran­tä­ne und durf­te ihn im Kran­ken­haus nicht besu­chen. „Ich habe jeden Tag mit der Ehe­frau gespro­chen und war so erleich­tert, als sich der Gesund­heits­zu­stand des Man­nes doch wie­der sta­bi­li­sier­te und er die Inten­siv­sta­ti­on wie­der ver­las­sen durf­te“, erin­nert sich Bea. „Seit­dem habe ich Respekt vor dem Virus!„
Cara gehört zu den soge­nann­ten Con­tain­ment Scouts, die vom Robert-Koch-Insti­tut in der Kon­takt­ver­fol­gung aus­ge­bil­det und den Gesund­heits­äm­tern ab April/Mai zur Unter­stüt­zung zuge­teilt wur­den. Sie stu­diert eigent­lich Kunst in Bochum. Doch die Ate­liers sind bis heu­te die meis­te Zeit geschlos­sen. Cara muss sich ihr Stu­di­um selbst finan­zie­ren. Im Lock­down sind aber vie­le Stu­den­ten­jobs vor allem in der Gas­tro­no­mie und Frei­zeit­bran­che weg­ge­bro­chen. Da die Stu­den­tin vor­her schon Erfah­run­gen im Kata­stro­phen­schutz gesam­melt hat­te, inter­es­sier­te sie sich für Arbeit als Con­tain­ment Scout. „Ich bin sehr froh, dass ich mich bewor­ben habe. Ich möch­te aktiv einen Bei­trag leis­ten, um die­se Kri­se zu bewäl­ti­gen. Wenn die Hüt­te brennt, kann ich mich nicht ent­spannt in mein Stu­di­um zurück­zie­hen“, ver­si­chert sie. Die ange­hen­de Künst­le­rin betreut mit sie­ben wei­te­ren Ermitt­lern die Aus­lands­rück­keh­rer aus Risi­ko­ge­bie­ten. Eini­ge der heu­ti­gen Ermitt­ler hat sie selbst in das Auf­ga­ben­feld ein­ge­wie­sen. „Die Flut der Aus­lands­rück­keh­rer aus Risi­ko­ge­bie­ten, reißt nicht ab. Es mel­den sich täg­lich Hun­der­te“, erklärt Cara. Mit der Doku­men­ta­ti­on der Fäl­le kommt das Team nicht mehr hin­ter­her. Cara ver­wahrt sich aber dage­gen, Aus­lands­rei­sen­de pau­schal als leicht­sin­nig oder ver­ant­wor­tungs­los abzu­stra­fen: „Vie­le von ihnen wol­len ein­fach nur ihre Fami­lie in ihrem Hei­mat­land besu­chen.“ Auch Geschäfts­rei­sen rund um die Welt gehö­ren am Indus­trie­stand­ort Mär­ki­scher Kreis zum All­tag. In der Regel kön­nen sich Aus­lands­rück­keh­rer mit einem nega­ti­ven Coro­na­test, der nicht älter als 48 Stun­den sein darf, aus der Qua­ran­tä­ne ‚frei­kau­fen‘.
Ton wird rau­er
Mit einem Nega­tiv-Test frei­kau­fen, geht nicht bei den Per­so­nen, die mehr als 15 Minu­ten enge­ren Kon­takt mit einem Infi­zier­ten hat­ten. Als K1 müs­sen sie nach den gel­ten­den Rege­lun­gen ihre vier­zehn Tage in Qua­ran­tä­ne ver­brin­gen. „Das führt häu­fig zu Dis­kus­sio­nen, die viel Kraft und Ener­gie kos­ten“, merkt Anna an. Über­haupt wird der­zeit viel am Tele­fon dis­ku­tiert. Eini­ge akzep­tie­ren die Qua­ran­tä­ne nicht und wol­len gleich mit dem Chef spre­chen. „Der Ton ist merk­lich rau­er gewor­den“, fin­det auch Bea. Man­che wer­den aus­fal­lend; ande­re machen sich über die Ermitt­le­rin­nen und ihre ver­meint­li­che Coro­na­hys­te­rie lus­tig. Da heißt es ruhig und sach­lich blei­ben und sich nicht auf die Spiel­chen ein­las­sen. Aber mit der Zuspit­zung der Lage und dem immer grö­ße­ren Druck wer­den die Ermitt­ler dünn­häu­ti­ger. Die psy­chi­sche Belas­tung ist sehr hoch. Zum Glück gibt es auch noch ver­stän­di­ge Leu­te, die auch mal ein freund­li­ches Wort fin­den. „Mit Ihnen möch­te ich auch nicht tau­schen“, hören die Ermitt­ler immer wie­der.
Schwie­rig wird es, wenn posi­tiv Getes­te­te ihre Kon­takt­per­so­nen nicht preis­ge­ben wol­len. „Viel­leicht wer­den Arbeit­neh­mer auch von ihren Chefs unter Druck gesetzt“, mut­maßt Bea. Ande­rer­seits fal­len ihr auch gleich wie­der Unter­neh­mer ein, die sehr auf­ge­schlos­sen sind, sich um ihre Mit­ar­bei­ter küm­mern, Hygie­ne­kon­zep­te mit der Gesund­heits­be­hör­de abstim­men.
Der Ver­zicht auf die Mas­ken­pflicht in den Schu­len nach dem Ende der Som­mer­fe­ri­en hat das Gesund­heits­amt vor gro­ße Pro­ble­me gestellt: Wur­de ein Schü­ler posi­tiv auf Coro­na getes­tet, muss­te gleich die gan­ze Klas­se als Kon­takt­per­so­nen in Qua­ran­tä­ne ver­setzt wer­den. War ein Leh­rer betrof­fen, konn­ten es auch schon mal bis zu 170 Leu­te wer­den. „Es dau­ert unge­fähr 4 bis 5 Stun­den, um solch umfang­rei­che Daten­sät­ze in unser digi­ta­les Com­pu­ter­pro­gramm Micro Pro ein­zu­tip­pen“, rech­net Bea vor. „Da haben wir es nicht mehr geschafft, alle Eltern abzu­te­le­fo­nie­ren. Das haben dan­kens­wer­te­wei­se die Schul­lei­tun­gen für uns über­nom­men“, ergänzt Anna. Für die Infor­ma­ti­on der Eltern, Schü­ler und der Leh­rer hat das Gesund­heits­amt Infor­ma­ti­ons­ma­te­ri­al und Ver­hal­tens­re­geln für die Qua­ran­tä­ne zusam­men­ge­stellt und auch ein Gesund­heits­ta­ge­buch ange­fügt. Da das Schul­mi­nis­te­ri­um nach den Herbst­fe­ri­en erneut die Mas­ken­pflicht in den wei­ter­füh­ren­den Schu­len for­dert, hof­fen die Ermitt­le­rin­nen auf eine Ent­las­tung an die­ser Front. Noch bes­ser wäre es aus ihrer Sicht, die Mas­ken­pflicht auch in den Schul­klas­sen der Grund­schu­le ein­zu­füh­ren. Dann wür­de auch dort die Flug­zeug­re­ge­lung zie­hen, nach der nur die unmit­tel­ba­ren Sitz­nach­barn des infi­zier­ten Kin­des in Qua­ran­tä­ne müs­sen.
Die Ermitt­le­rin­nen freu­en sich über jede Unter­stüt­zung. Lang­sam zehrt der Stress an der Sub­stanz. Selbst in der Frei­zeit fällt das Abschal­ten schwer. Coro­na ist über­all das domi­nie­ren­de The­ma. „Ich habe mei­ne Gren­zen fest­ge­stellt“, erklärt Bea. „Wir kom­men nur gemein­sam und mit viel Dis­zi­plin durch die Kri­se“, ist Anna über­zeugt. Abstand hal­ten, Mund-Nasen-Schutz tra­gen, Hygie­ne­re­geln beach­ten und regel­mä­ßig lüf­ten, ist ein Bei­trag, den jeder zu leis­ten vermag.

Ein positiver Coronafall – und dann?

Der Test
Liegt ein posi­ti­ves Ergeb­nis vor, nimmt das Gesund­heits­amt Kon­takt mit dem Infi­zier­ten auf – um die­sen per münd­li­cher Anord­nung in Qua­ran­tä­ne zu ver­set­zen. Es wer­den Fra­gen zum Gesund­heits­zu­stand gestellt. Soweit mög­lich wird der Aus­gangs­punkt der Anste­ckung ermit­telt. Der Ermitt­ler erläu­tert alles Wis­sens­wer­te zur Infek­ti­on, was Qua­ran­tä­ne bedeu­tet und wie das wei­te­re Vor­ge­hen ist. Auch Tage­buch über den Krank­heits­ver­lauf ist zu führen.

Die Kon­tak­te 
Das Gesund­heits­amt fragt ab, zu wem die Per­son in einem bestimm­ten Zeit­raum Kon­takt hat­te. Dabei spielt die Art und Dau­er des Kon­takts eine bedeu­ten­de Rol­le. In der Fol­ge wer­den die Kon­takt­per­so­nen nach und nach ange­ru­fen: Wann hat­ten Sie zuletzt Kon­takt mit dem Infi­zier­ten. Wie nahe sind Sie ihm gekom­men? Wie lan­ge hat­ten Sie Kon­takt? Wie füh­len Sie sich? Bemer­ken Sie irgend­wel­che Sym­pto­me: Fie­ber, Kurz­at­mig­keit, tro­cke­nen Hus­ten, Geruchs- oder Geschmacks­stö­run­gen? Anhand die­ser Abfra­ge wer­den die Kon­takt­per­so­nen des Infi­zier­ten in ver­schie­de­ne Kate­go­rien eingeordnet.

Die Qua­ran­tä­ne 
Für die­je­ni­gen, die engen und/oder län­ge­ren Kon­takt zu der infi­zier­ten Per­son hat­ten, wird eine zwei­wö­chi­ge Qua­ran­tä­ne ange­ord­net. Tre­ten in die­ser Zeit kei­ne Sym­pto­me auf, sind sie nach Ablauf der fest­ge­setz­ten Qua­ran­tä­ne auto­ma­tisch aus der Qua­ran­tä­ne ent­las­sen. Bemer­ken sie Sym­pto­me, müs­sen sie sich umge­hend tele­fo­nisch bei ihrem Haus­arzt mel­den, der dann einen Test durch­füh­ren kann. „Frei­tes­ten“ mit einem nega­ti­ven Coro­na­test ist für die soge­nann­ten K1-Kon­tak­te nicht möglich.

Die Ermitt­lung 
Kon­takt­per­so­nen sind oft nicht sofort tele­fo­nisch erreich­bar. Auch die Nach­for­schung in oder für andere/n Landkreise/n bezie­hungs­wei­se Städte/n benö­tigt viel Zeit. Even­tu­ell müs­sen wei­te­re, spe­zia­li­sier­te Ermitt­ler bei­spiels­wei­se für Heim‑, Kran­ken- oder Schul­um­ge­bun­gen in Kennt­nis gesetzt werden.

Doku­men­ta­ti­on
Abschlie­ßend infor­mie­ren die Ermitt­ler die betrof­fe­nen Per­so­nen per Mail kurz über den Inhalt des geführ­ten Gesprä­ches, der aus­ge­spro­che­nen Maß­nah­me und lei­ten Infor­ma­ti­ons­ma­te­ri­al zu Ver­hal­tens­re­geln in der Qua­ran­tä­ne wei­ter. Die ermit­tel­ten Per­so­nen­da­ten wer­den mit der Art der Maß­nah­me und dem Kurz-Sach­ver­halt in das Fach­ver­fah­ren Mika­do eingegeben. 

Nach einem posi­ti­ven Coro­na­nach­weis tele­fo­nie­ren die Ermitt­ler des Kreis­ge­sund­heits­samt mit den Infi­zier­ten und den Kon­takt­per­so­nen. Archiv­fo­to: Raf­fi Derian/Märkischer Kreis