Auf eine bewegte Geschichte blickt das Schullandheim des Märkischen Kreises auf Norderney, in dem auch so manch ein Balver mit der Schulklasse war. 1921 richtete der damalige Landkreis Iserlohn in dem Gebäude ein Kinderkurheim ein. 100 Jahre später feiert der Märkische Kreis das Jubiläum mit einem offiziellen Besuch und einer kleinen Chronik.
Unzählige Erinnerungen, heitere und traurige Geschichten sind mit dem Beherbergungsgebäude des Märkischen Kreises auf der Nordseeinsel auf Norderney verbunden. Zum 100-jährigen Jubiläum wurde in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Norderney und dem Kreisarchiv des Märkischen Kreises eine kleine Chronik zur bewegten Geschichte herausgegeben. Am Wochenende besucht eine offizielle Delegation des Märkischen Kreises unter Leitung von Marco Voge die Insel, um das Jubiläum feierlich zu begehen.
Erbaut wurde das hochherrschaftlich anmutende Haus 1913 als Hotel/Pension mit vielen komfortablen Finessen wie eine moderne Trinkwasserversorgung und Kanalisation, Stromanschluss sowie WCs und Badezimmer auf jeder Etage. Doch der Erste Weltkrieg machte die hohen Erwartungen des Hoteliers August Schuchardt an einen aufblühenden Seebadtourismus zunichte. Entmutigt verkaufte er Grund und Boden für 110.000 Papiermark an den damaligen Landkreis Iserlohn. Um Kinder aus Iserlohn und Umgebung in den Hungerjahren nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufzupäppeln, baute der Kreis das Gebäude zu einem Kinderkurheim um. Gute Luft und gutes Essen auf Norderney sollte die Kriegskinder wieder zu Kräften bringen. Der Kreis Soest beteiligte sich an den Umbaukosten. Im ersten Kurjahr wurden sechs Kuren mit 474 Kindern, darunter 43 Kriegswaisen sowie Kindern Kriegsgeschädigter aus den Kreisen Iserlohn und Soest, aufgenommen. Die Kuren sollten allerdings nicht als reine „Mastkuren“ dienen, sondern dabei helfen, schwere Erkrankungen wie Skrofulose (Hauttuberkulose) und Rachitis zu lindern oder zu heilen. Der Kurbetrieb wurde unter anderem durch ein eigenes Seewasserschwimmbad aufgewertet, dass es erlaubte, den Kindern warme und kalte Seebäder als Therapie zu verabreichen. 1924 wurden auch eine 100 Quadratmeter große Turn- und Spielhalle sowie Aufenthaltsräume erbaut.
Seit 1925 lief der Kurbetrieb ganzjährig. Instrumente der Diagnostik und Therapie wurden angeschafft, darunter Röntgenapparate, eine Bach-Höhensonne und ein Bestrahlungsspiegel. Die Versicherungsträger erkannten das Kinderkurheim als Genesungsheim an und bezuschussten den Aufenthalt versicherter Kinder. Durch weitere Umbaumaßnahmen konnte die Belegung auf 96 Kinder pro Kur gesteigert werden.
Mit der Weltwirtschaftskrise kamen schwere Jahre auf das Genesungsheim zu. Dem Kreis standen nicht mehr genug Mittel zur Verfügung, um Kinder in Kur zu schicken. 1933 musste das Haus vorübergehend geschlossen werden. 1934 fanden sich mehrere kommunale Entsender, die eine ausreichende Belegung garantierten. Das Heim wurde an die Kinderhilfe e.V. verpachtet und Ordensschwestern übernahmen das Regiment. 1936 führte der Landkreis Iserlohn das Haus wieder mit eigenem Personal. Bereits 1938 wurde es vom sudetendeutschen Flüchtlingshilfswerk in Anspruch genommen und nach Kriegsausbruch nahm es die Wehrmacht als Lazarett in Beschlag.
Nach dem Krieg ging das Genesungsheim wieder in den Besitz des Kreises Iserlohn über. Vom ehemaligen Inventar war so gut wie nichts mehr vorhanden. Mit Hilfe von Sachspenden der heimischen Industrie wurde das Heim für die Kriegskinder wieder auf Vordermann gebracht. 1959 folgte ein weiterer großer Umbau, bei dem unter anderem mehr Personalräume, eine Krankenstation, ein Gymnastikraum sowie moderne Wasch- und Duschräume für Mädchen im 1. Obergeschoss und für Jungen im 2. Obergeschoss entstanden. Die 50-er und 60-er Jahre waren zweifellos die Blütezeit des Kindergenesungsheims.
Einen kritischen Blick hinter die Erfolgsgeschichte des Kindergenesungsheimes wagt das Kapitel „Verschickungskinder“ in der Jubiläumsbroschüre. Hier wird angesprochen, dass nicht alle Kinder ihren Aufenthalt in positiver Erinnerung hatten. Viele von ihnen erlebten die Zeit dort fern von Zuhause als traumatisierend. Vor allem jüngere Kinder reagierten oft mit hohem emotionalen Stress, der sich unter anderem in Appetit- und Schlaflosigkeit, Bettnässen, Kopf- und Bauchschmerzen äußerte. Statt mit Verständnis begegnete ihnen das damals noch auf Disziplin gedrillte Personal oft mit Härte, Bestrafungen und öffentlichen Demütigungen. Was zählte, war die messbare Gewichtszunahme oder der gesundheitliche Fortschritt und nicht die Psyche.
1975 ging das Kinderkurheim aufgrund der kommunalen Neugliederung in den Besitz des Märkischen Kreises über, der es sechs Jahre später in ein Schullandheim umwandeln ließ. Damit wurde ein neues, positives Kapitel aufgeschlagen. „Ganz oder gar nicht” lautete die Devise von Kreistag und Verwaltung, als 1990 die Entscheidung zur grundlegenden Modernisierung des Schullandheims Norderney fiel. Die Kreistagsmitglieder fühlten sich dem Erbe verpflichtet und betrachteten den Erhalt des Kleinods auf Norderney als „Herzensangelegenheit“. Das Schullandheim sollte den Ansprüchen moderner Beherbergungsbetriebe genügen. Viele Arbeiten erfolgten damals ehrenamtlich. Vollen Einsatz zeigten dabei Schülerinnen und Schüler der Berufskollegs des Märkischen Kreises. Von der Designklasse aus Iserlohn stammte der Entwurf für das „Sonnentor” des Schullandheims. In der Schlosserei des Berufskollegs Lüdenscheid wurde es fertiggestellt und schließlich auch von Berufsschülern eingebaut. Schülerinnen und Schüler der Gartenbauschule aus Letmathe nutzten einen gemeinsamen Betriebsausflug, um die Gartenanlage fertigzustellen. Zwei Jahre später – die ehemaligen Schüler/innen waren schon längst in Lohn und Brot – kamen sie wieder, um den Parkplatz anzulegen.
Damit das Schullandheim, das vorher in den Schulferien kaum belegt war, wirtschaftlich arbeiten konnte, wurden Restplätze auch während der Saison an Familien, Senioren sowie weitere Privatreisende vergeben. Vorrang haben aber bis heute noch Schulklassen, Jugendgruppen und Vereine aus dem Märkischen Kreis. Seit 1997 leitet Gunda Behr das Schullandheim. Die Sozialpädagogin hat dem Haus längst ihren Stempel aufgedrückt. Um konkurrenzfähig zu bleiben, wird das Haus laufend modernisiert und instand gehalten.
Heute gehört das Schullandheim mit seinen 95 Betten sicherlich in seiner Preisklasse zu den komfortabelsten und modernsten Schullandheimen an der Nordseeküste. Jedes der Ein- bis Sechsbettzimmer verfügt über einen eigenen sanitären Bereich. In einer kleinen Turnhalle können sich die Gäste bei Tischtennis und Kicker austoben oder bei Yoga oder Tai Chi entspannen. Aufenthaltsräume sowie ein Seminar- und Unterrichtsraum mit moderner Technik stehen zur Verfügung. Zu Lesen gibt es auch genug und im Partykeller geht sowieso die Post ab. Die Rahmenbedingungen für einen gelungenen Aufenthalt sind also geschaffen. Die gute Luft, der Strand, das Meer und die vielen Freizeitmöglichkeiten auf Norderney tun ihr übriges.
Die Bewältigung der Corona-Pandemie war 2020⁄21 für die Beschäftigten des Schullandheims eine große Herausforderung. Viele Buchungen mussten storniert werden, das Team ging zeitweise in die Kurzarbeit. Seit Mai 2021 darf das Haus unter Beachtung der Hygienemaßnahmen wieder belegt werden.
Heute bietet das Schullandheim des Märkischen Kreises Schulklassen, Gruppen und Privatreisenden ganzjährig einen erholsamen Aufenthalt auf der Nordseeinsel. Foto: Hendrik Klein/Märkischer Kreis